Work Awesome: Wie Gewächshäuser und Ehetherapie die (neue) Arbeitswelt beflügeln

„Work Awesome“ – das ist nicht nur das Motto, mit dem (möglichst) jeder Tag starten sollte, sondern auch eine der angesagtesten Konferenzen zur Zukunft der Arbeit. In diesem Jahr im Mittelpunkt: innovative Organisations- und Führungsmodelle. Simone Hartmann war in der ausverkauften Berliner Villa Elisabeth mittendrin und schwer beeindruckt.

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work awesome konferenz

 

Mein erster Gedanke, als ich mitten in Mitte die denkmalgeschützten Säulenhallen betrete: Wenn die Vorträge hier auch nur halb so anregend sind wie das Ambiente, hat sich die Anfahrt schon gelohnt! Die Organisatoren – die deutschen Journalisten Lars Gaede und Felix Zeltner  – machen einem das Ankommen erfreulich angenehm: Der Kaffee liegt deutlich über typischem Tagungsniveau und eine kleine Meditationsübung sorgt sofort für Frische im Kopf.

Vor allem aber haben sie ein verheißungsvolles Programm auf die Beine gestellt, bei dem es gleich im ersten Panel um die ganz großen Fragen geht: „Was ist eine wünschenswerte Zukunft der Arbeit in Deutschland? Und (wie) kommen wir dahin?“ Darüber diskutieren drei CEOs, die bereits viel Erfahrung mit den Change-Anforderungen unserer Zeit haben. Zwar ist Julia Jäkel als Chefin des Medienkonzerns Gruner+Jahr im Alltagsgeschäft mit anderen Herausforderungen konfrontiert als Erik Podzuweit mit seiner Online-Vermögensverwaltung Scalable Capital. Und doch müssen beide ihr Geschäftsmodell immer wieder hinterfragen und parallel dazu die Strukturen ihrer Organisation. Dabei behilflich sein kann jemand wie Christoph Bornschein, ein sehr geschätzter Partner auch von hartmann consultants, der mit seiner Digitalagentur bei solchen Veränderungsprozessen viel Erfahrung als Berater hat.

Der überaus lebendige Austausch schenkt mir gleich 4 Aha-Momente:

  • Am wichtigsten sind Offenheit und Neugier für technische Innovation – die Expertise selbst hingegen ist nachrangig. Schließlich kann man diese erlernen. Das direkt einmal als gute Nachricht für alle Digital Immigrants…
  • Veränderung muss im Kern des Unternehmens beginnen. Es reicht nicht, bloß agile „Beiboote“ zu finden.
  • In Deutschland fehlt es immer noch an Ideen, wie der Übergang in die Digitalgesellschaft gelingt. Traditionelle Trainingsmethoden sind unzureichend ausgerichtet auf die Herausforderungen der Zukunft. Darum brauchen wir konkrete Lösungen: Wie organisieren wir lebenslanges Lernen und „Training on the Job“?
  • Partizipation ist ein zentraler Wert, um Firmen fit für das digitale Zeitalter zu machen. Dafür brauchen sie (und ihre Mitarbeiter) „inklusives Wachstum“. Sonst entstehen kaum überwindbare Gräben in den Organisationen.

Warum Diversity für zukunftsfähige Unternehmen heute ein Muss ist

Nach dem spannenden Start folgt ein sehr engagiert präsentiertes Impulsreferat über die zukünftige Architektur der Arbeit. Dabei zeigt Raphael Gielgen, Head of Research & Trendscouting beim Schweizer Möbelhersteller Vitra, wie wichtig Raumgestaltung sein kann. Gielgen selbst reist um die ganze Welt, um vorbildliche Beispiele zu finden. Eines ist die sogenannte Yahoo Lodge in Japan: Dort haben sie das ganze Erdgeschoss mit immerhin 1.200 Quadratmetern als Co-Working-Spaces umgestaltet. So kommen jeden Tag 500 bis 600 Leute ins Unternehmen, die eigentlich nichts mit Yahoo zu tun haben. Aber durch die neue Offenheit gibt es ganz viel (wechselseitigen) Input und eine andere Identität! Sehr inspirierend … mal sehen, ob wir ein solches „Haus der Gemeinschaft“ eines Tages auch bei uns in München etablieren können – vielleicht angereichert um ein stylisches Gewächshaus mit 40.000 Pflanzen, wie es Jeff Bezos im Amazon-Headquarter eingebaut hat!? Danke, Raphael Gielgen, für die Inspiration – „awesome“ wär’s allemal…

Eine wunderbare Überleitung zur nächsten Gesprächsrunde, wo es um das richtige Organisationsmodell für das eigene Unternehmen geht: Denn die Organisation ist wie ein „Biotop“, sagt Holger Wolff, geschäftsführender Gesellschafter der IT-Beratung MaibornWolff, „da dürfen ganz unterschiedliche Pflanzen wachsen“. Das „dürfen“ ist meiner Meinung nach sogar zu schwach – Diversity ist für zukunftsfähige Unternehmen heute ein Muss!

Gute Führung erfordert Spagat – zwischen Leuchtturm und langer Leine

Das allerdings ändert das Rollenmodell der Geschäftsführung dramatisch; die Chefs müssen für die richtigen Bedingungen sorgen, damit das Wachstum gelingt – bei MaibornWolff fördern sie darum insbesondere Freiwilligkeit, Achtsamkeit, Selbstorganisation. Wobei nicht vergessen werden sollte: Nicht jeder steht auf total flexible Arbeitsmodelle, nicht jeder auf Duz-Kultur – darum sollte auch nicht alles auf einmal umgekehrt werden. Passend dazu betont Simon Berkler, CEO der Beratungsagentur The Dive: Es gibt „keine Blaupause“ für solche Prozesse. Zentral ist für ihn immer, wie der jeweils nächste Schritt gelingt. Und was kann die Führung dabei tun? Metaregeln definieren, Orientierung geben, aber auch loslassen können. Fragt sich nur, wann man als Führungskraft in der alltäglichen Praxis eher als Leuchtturm gefragt ist und wann man eher die lange Leine gewährt …

Zum Glück gibt es im Anschluss gleich noch eine Diskussionsrunde zum Thema „Gute Führung in Zeiten des radikalen Wandels“; ein echtes Highlight, schließlich sitzt auf dem Podium mit Alexander Birken vom Handelskonzern Otto Group ein Vorstandsvorsitzender, der Verantwortung für mehr als 50.000 Mitarbeiter trägt – und dabei in einer Branche arbeitet, die höchstwahrscheinlich in ein paar Jahren völlig anders aussieht als heute. Seine Worte sind entsprechend deutlich: Er spricht von einem „kulturellen Schock“ auf der Vorstandsebene, der einen „Ehetherapie-ähnlichen Prozess“ erfordere, nämlich mehr Beschäftigung mit sich selbst und Mut, neue Erfahrungen zu wagen. Dagegen sei es „Bullshit von New und Old Work zu sprechen“. Vielmehr gehe es um eine grundsätzliche Haltung, die Respekt, Vertrauen und nicht zuletzt Mutmachen fördert. Ein überzeugendes Beispiel nennt Birken auch gleich: Seit bei Otto nicht mehr die Führungskraft die Schichtpläne mache, sondern die Mitarbeiter das selbst organisieren, seien alle viel zufriedener und der Krankenstand habe sich fast halbiert!

„Eine gute Führungskraft muss heute vor allem ein guter Coach sein“

Dennoch fühlen sich weniger als zehn Prozent der Unternehmen gut vorbereitet auf die neue Arbeitswelt. Das zeigen Studien, die Heike Bruch präsentiert, die an der Universität St. Gallen Professorin für Leadership ist. Noch viel zu wenig werden innovative und zukunftsorientierte Arbeitsformen genutzt. Darum sei eine bestimmte Art von Führung gefragt: fördernd, sinnorientiert, aktiv vorgelebt, mit Lust am Gestalten und zugleich Selbstvertrauen. Oder, wie es Merete Beckmann von Google Deutschland formuliert: „Eine gute Führungskraft muss heute vor allem ein guter Coach sein.“

Fazit: Der Input ist tatsächlich (mindestens) so awesome wie die Umgebung. Vielen Dank, meine beiden Kollegen Thomas und Mohsin (bei uns ist Fortbildung eben Teamsache!) haben viele neue Ideen für unsere eigene Arbeit im Rückreisegepäck.