In der Tat: Es kommt einiges zu auf Unternehmer und Vordenker: Rezessionssorgen. Außenpolitische Unwettervorhersagen. Inflation. Engpässe und Rohstoffknappheit. Der Markt weiß nicht so recht, was er will, der physische wie der virtuelle, aber hohe Ansprüche haben die Konsumenten auf jeden Fall weiterhin; vor allem die Generation Z ist noch nicht zur Gänze dechiffriert. So zeichneten die SHIFT-Speaker auf der fünften Konferenz am hartmann campus keine rosaroten Zukunftsbilder. Doch bei SHIFT herrscht nicht Pessimismus, sondern Pragmatismus, und so wurden viele Fragen tiefschürfend und pragmatisch beantwortet: Was können wir tun, wie können wir Umbrüche für uns nutzen? Die Antworten kamen in unterschiedlichem Gewand. Auf jeden Fall gibt es sie immer noch, die klassischen erfolgreichen Selfmade-Geschichten, in diesem Fall aus der Fashion-, der Medien- und der Hightech-Branche. Außerdem als Aufruf an Unternehmer: Geht auf eure Mitarbeiter zu, setzt euch mit eurem Führungsstil auseinander, ihr seid die Marke! Und zu guter Letzt in Form von Geschichten über technische Entwicklungen und Innovationen, die einem die Kinnlade herunterklappen lassen – und die Welt vielleicht sogar wieder zu einem besseren Ort machen.
Die Frühaufsteher an einem vollgepackten ersten Tag mit insgesamt acht Keynotes, Panels und Interviews setzten gleich eines der wichtigsten Themen dieser Konferenz: Das Unternehmen, egal in welcher Branche, ist längst kein anonymes Zusammentreffen grauer Arbeitnehmer mehr. Vielmehr vertritt der Vorstand die Firma nach innen wie nach außen, er sorgt für Identifikation und ist zugleich höchstpersönlich Verkaufsgarant – wenn sein öffentlicher (= Social Media) Auftritt funktioniert. Jochen Eckhold (Hugo Boss), Basma Geigenmüller (ehemals Zalando) und Co-Veranstalterin Simone Hartmann (hartmann consultants) sprachen zudem über die Frage, wie sich die Generation Z im Arbeitsalltag einfangen lässt. Auf klassischem Wege wohl kaum noch – viele scheinen lieber den Job zu wechseln, als nochmal fünf Tage im Office zu erscheinen. Doch auch hier lautete die Quintessenz: Wer sich der gegebenen Situation anpasst, hier etwa in Form von flexiblen Arbeitsmodellen oder innovativen Karriereanreizen, macht die ganze Firma besser.
Es blieb eine Erkenntnis, die auch Michael Schwarz teilen konnte, und er ist immerhin Executive Director der Baden-Badener Unternehmergespräche, dem vielleicht wichtigsten Think Tank des Landes: Im digitalen Dialog mit Stephan Balzer, Co-Founder Boma Global, schildert er, dass über die Jahrzehnte viele Themen immer wieder den Weg ins Programm fänden, jedoch habe sich kein Thema zuletzt so stark verändert wie die Selbstreflexion von Führungskräften. Selbst die Älteren und Etablierten hätten verstanden, dass ein Unternehmen anders geführt werden muss als früher.
Darüber hinaus wirkte motivierend, dass es selbst in umwälzenden Zeiten zeitlose Erfolgsgeschichten gibt. Wer mit Elan und Überzeugung eine Herausforderung angeht, kann trotz aller aktuellen Unwägbarkeiten reüssieren, also auch mitten in der Pandemie. So war das unter anderem bei Judith Dommermuth, die nach eigenem Bekunden während der Corona-Bremse „keinen einzigen Tag zu Hause“ war, weil sie Juvia aufbaute.
Ähnliches gilt für Tom Junkersdorf, der Argumente wie „aber es gibt doch schon so viele Podcasts“ nicht mehr hören kann. Dafür bekommen seine Follower u.a. einen erfolgreichen Promi-Podcast „TOMorrow“ zu hören, der sich rasend schnell etabliert hat. Technik ist wichtig, doch die wichtigsten Werkzeuge des Luxury- und Lifestyle-Talks sind andere: Fleiß, gute Ideen und ein regelmäßiges, verlässliches Auftreten.
Eine weitere, große Aufgabe an Führungskräfte: Problemen auf den Grund gehen, sie im Kern verstehen – denn in Phasen mit schnellen Veränderungen können all jene am besten handeln, die flexibel sind und vorausschauen können. Weil global gesehen gerade sehr viel im Umbruch ist, gilt das verstärkt für innen- wie für außenpolitische Fragen. Was bedeutet also ein schnell verabschiedetes Gesetz, von denen es in Krisenzeiten sehr viele gibt, in der Umsetzung für Deutschland und konkret für mein Unternehmen? Und, noch globaler gefragt, welche Konsequenzen hat der Krieg in der Ukraine oder die Rückkehr der Taliban in Afghanistan?
Als die Journalistin Natalie Amiri am Freitagnachmittag das Mikrofon in die Hand nimmt und die Dinge einordnet, wäre die berühmte fallende Stecknadel im Raum zu hören gewesen. Klare Ansagen, das sagt die preisgekrönte ARD-Reporterin selbst, sind in der Politik selten geworden, was auch daran liege, dass insbesondere europäische Politiker schlicht keine Ahnung hätten, was in der Welt so vor sich geht. Umso eindringlicher hallen ihre klaren Aussagen nach: In Afghanistan droht eine humanitäre Katastrophe, dank gescheiterter US-Politik. Genau diese wiederum sei auch der Grund, warum der Iran kurz vor dem Bau der Atombombe steht, was ein Wettrüsten im Nahen und Mittleren Osten auslösen wird. Von all dem profitiert China ebenso wie vom Ukrainekrieg. Es entstehe gerade eine neue Machtachse. Umso wichtiger sei es, sich als Europäer autarker und selbstbewusster aufzustellen. Experten erzählen hinter vorgehaltener Hand, dass China in wenigen Jahren sein wahres Gesicht zeigen werde. Wirtschaftliche Druckmittel in Verbindung mit militärischen Drohungen sind dann wohl nicht mehr auszuschließen.
Nach einem Blick durch das politische Teleobjektiv richtete sich der Fokus wieder auf die Aufgaben, die direkt im Markt warten. Salesforce, Diamond Sponsor von SHIFT, gab Hinweise, welche Strategien für das Weihnachtsgeschäft wichtig werden – aber eigentlich mit dem Impact, der weit über die Strategie für ein paar Feiertage hinausgeht. Während Nino Bergfeld, Director Retail Advisory und Co-Founder Web3 Studio Salesforce, die neuesten Trends aus der Parallelwelt Metaverse relativierte, erklärte der von den USA zugeschaltete Matt Marcotte, Global Head für Retail Advisory & Consumer Industry, warum es nun besonders wichtig ist, Langzeitkunden an sich zu binden – und wie man sie halten kann. Ein ganz klarer Trend: Die Käufer verlangen nicht nur guten Service, sondern auch Verständnis und Empathie. Es geht also nicht mehr allein darum, seine Kunden zu kennen, sondern sich auch mit ihnen auszutauschen und echtes Verständnis zu zeigen – im Onlinemarkt kein einfaches Unterfangen.
Düstere Zukunft? Komplizierte und anstrengende Wege, um die Existenz zu sichern? Sicherlich, aber nicht ausweglos. Mit gewohntem Scharfsinn bot Dr. Marc Schumacher, CEO der Avantgarde Group und Chief Programming Officer von SHIFT mit den Trendanalyse-Ergebnissen seines Unternehmens Trendbüro das SHIFT Briefing, welches die Community für relevante Themen und Lösungsansätze der laufenden Transformation machen soll. Darin gab es sie noch, die positiven Ausblicke. Besonders richtungsweisend waren praktischerweise jene, die die Besucher am Samstagmittag mit auf den Weg bekamen – unmittelbar vor der gemeinsamen Fahrt zum Oktoberfest. Denn die neuesten wissenschaftlichen Errungenschaften, vorgestellt vom „Digital Evangelist“ Lukas Pierre Bessis, zeigten ungeahnte Möglichkeiten für das Individuum wie auch für Unternehmen auf. Egal, ob man nun bald endgültig in die virtuelle Realität abtaucht, ob neu gezüchtete Enzyme den Hunger auf der Welt abschaffen, der Krebs schlicht besiegt wird oder frische Organe aus einem 3-D-Drucker kommen – all dies scheint näher, als man glaubt – das Leben wird sich nicht nur radikal verändern, sondern dabei auch verbessern und verlängern. Für einen wirtschaftlichen Teilbereich trifft das bereits für XPAI zu, eine innovative Firma, die von ihrem Gründer Karl Sponholz präsentiert wurde: XPAI kann auf Basis der Befindlichkeiten von Menschen, zum Beispiel Besucher in einem Bekleidungsgeschäft, die Wahrscheinlichkeit angeben, mit der ein Produkt gekauft wird. Und das ohne datenschutzrechtliche Bedenken. Diese Entwicklung ist so revolutionär, dass sich die konventionelle Marktforschung warm anziehen muss – weil jede Firma bald ihre eigene, zielgerichtete Marktforschung betreiben kann.