In Zeiten des Wandels – SHIFT Summer 2021

Digitalisierung, Nachhaltigkeit, geändertes Kundenverhalten und eine schwer zu planende Post-Covid-Ära: Auf Global Player wie auch auf den kleinen Einzelhändler kommen massive Veränderungen zu. Aber, und das hat die dritte SHIFT-Konferenz mit zahlreichen Entscheidern und Vordenkern eben auch gezeigt: Jeder Umbruch bietet riesige Chancen.

Mehr

An den Beginn der Veranstaltung hatten Veranstalter Nick Hartmann und Chief Programming Officer und Moderator Dr. Marc Schumacher zwei Personen gesetzt, die zunächst die Großwetterlage beschrieben, in der wir alle uns befinden: Prof. Dr. Manfred Kirchgeorg, Inhaber des Lehrstuhls für Marketing Management und Nachhaltigkeit an der HHL Leipzig Graduate School of Management machte eindringlich klar, dass es in Sachen Umweltschutz höchste Zeit ist zu handeln: „Wir haben in den letzten 50 Jahren einen Anstieg der Durchschnittstemperatur, den es in den letzten 2000 Jahren nicht gegeben hat.“ Dabei sei der Einfluss des Menschen „nicht mehr zu hinterfragen“. Doch die Politik und auch die Konsumenten seien oft noch zu träge, um in der verbleibenden Zeitspanne genug für die Umwelt zu tun – Anschub aus der Wirtschaft sei deswegen bedeutsam.

Anschließend ging die renommierte Zeit-Journalistin und Wirtschaftsressort-Leiterin Charlotte Parnack auf ein Thema ein, das in den Wochen des Wahlkampf-Endspurts besondere gesellschaftliche Bedeutung erhielt: eine oft aus dem Ruder gelaufene Debattenkultur. Wie stark und schnell sich die Gesellschaft ändere, das könne man auch an den geänderten Aufgaben von Journalisten ablesen: „Wir brauchen neue Formen des Dialogs, mehr auf Augenhöhe“, sagt Parnack. Schließlich sei man nicht mehr der ultimative Gatekeeper wie früher: „Wer hat denn dafür gesorgt, dass Donald Trump nichts mehr zu sagen hat? Das war Twitter, kein Journalist.“ Also keine Aufgaben mehr? Oh doch. Denn die Nachfrage nach guten, tiefschürfenden Nachrichten sei in einer zerklüfteten Gesellschaft „exponentiell angestiegen“. Außerdem: Je mehr Stimmen es gibt, desto wertvoller sei der Diskurs doch auch.

Viel zu besprechen also auf dem hartmann campus nahe der Frauenkirche, wo am ersten Abend ein Minioktoberfest aufgebaut und ein kulinarisches Wiesnfeeling geboten war. Auch und gerade weil die echte Wiesn nicht stattfindet, war bei den Gästen große Freude zu spüren, mal wieder ein physisches Zusammentreffen erleben zu können.

Der Freitag mit insgesamt acht Vorträgen machte klar: Viele Entscheider sind bereit, anzupacken und umzudenken. Und es gibt sie, die Vordenker, von denen man sich einiges abschauen kann. Robert Zitzmann und Carl Kuhn von der Werbeagentur Jung von Matt/SPORTS berichteten aus der gar nicht mehr so nischigen Welt des Gaming und E-Sports: Dort werde die Zielgruppe respektvoller behandelt als beispielsweise im klassischen Fußball-Business. Dafür sei es wichtig, die Sprache der Community zu sprechen und sich nicht zu verstellen. Wenig später machte der gefeierte virtuelle Vortrag von Mathias Keswani von Nerdindustries eindrucksvoll klar: Kreative, die eine „Firma für Erfindungen“ betreiben und sich an zahlreichen „Spinnereien“ (Keswani) erfreuen, können auch großen Playern wie adidas oder Sennheiser helfen, sich neu zu erfinden. Keswani findet aber auch, dass es global viel zu wenige Menschen seines Schlages gebe, im Nerd-Bereich herrsche ganz klar „Fachkräftemangel“.

Wie die neuen Wege aussehen können, dafür gab es am Freitag mehrere Beispiele aus erster Hand, aus dem „Maschinenraum“, wie Dr. Annette Hamann es bezeichnete. Sie berichtete von der Aufgabe, den weltweit agierenden Konzern Beiersdorf so zu digitalisieren, dass „Consumer Journey“ und „Company Journey“ möglichst reibungslos ineinandergreifen. Karsten Mayer, bei Mercedes Benz zuständig für Marketing Communications in der Digitalisierung, zeigte auf, dass man mit Blick auf das autonome Fahren und die Zukunft des Autos viel von den Großen der Digitalökonomie lernen könne, vor allem im Bereich der User-Zufriedenheit mit Software – und dass dem Kunden noch verständlich gemacht werden müsse, dass Software und Updates eben auch im Auto nicht umsonst zu haben sind. Dr. Marcus Meyer von Lacoste verdeutlichte, welch einen Spagat das Textilunternehmen gerade vollführt: Heritage sei zugleich Auftrag an die Zukunft zu denken, sagte er, und stellte heraus, wie gut es Lacoste in seiner Transformation gelingt, Transparenz, nachhaltiges Denken und Branding zusammen zu bringen. Dr. Carsten Keller von Zalando erläuterte das Zustandekommen von Connected Retail als zunächst überraschende Kooperation, die letztlich allen Beteiligten eine Win-win-Situation beschert: Dadurch dass der Online-Händler nun intensiv mit stationären Händlern zusammenarbeitet, ist Zalando damit viel näher an den Kunden, gleichzeitig hilft die Plattform, die Läden in den Innenstädten zu retten – eine Idee, die durch Corona gebremst, aber nicht mehr gestoppt werden konnte.

Weitere gezielte Prognosen, dazu tiefgehende Analysen über die Tragweite der Corona-Pandemie für das Business, gab es von den global aufgestellten Vordenkern von The Future Laboratory und von Salesforce zu hören. Erstere betonten mit einem Digital-Beitrag von Gründer Christopher Sanderson die Dringlichkeit, in einem Jahrzehnt des wirtschaftlichen Umbruchs, beschleunigt durch die Pandemie, bereit zu sein für radikales Umdenken und wo man dafür am besten ansetzt. Matt Marcotte, Chefstratege bei Salesforce und aus Boston zugeschaltet, setzte seine Schwerpunkte auf die Veränderungen im Konsumverhalten und die neuen Aufgaben für stationäre Geschäfte. Er kam zu dem Schluss: Die digitale und die physische Welt des Konsumenten ist mittlerweile so verwoben, dass es auch für Firmen keinen Sinn mehr macht, diese beiden Welten getrennt voneinander zu betrachten. Und zeigte zugleich die neuesten Wege in der Analyse von Kundendaten auf, sowie die guten Perspektiven des Marketplace Business. Ein radikaler Schritt, den beide betonten: Firmen sollten sich überlegen, auf Konkurrenten zuzugehen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. „Ich bin glücklich sagen zu können: Wir sind schon Plattform und wir sind eine Community“, nahm Veranstalterin Simone Hartmann zum Ende der Konferenz den Faden auf. Die SHIFT-Community plant am 5. und am 6. Mai 2022 die nächste Möglichkeit zum Get-together.