hc privée: Nachhaltigkeit in der Modebranche – Feigenblatt oder Business Case?

Die Münchner Premiere unseres etablierten hc privée Talks fand im Februar 2020 kurz vor Ausbruch der Coronakrise statt und ließ 50 geladene Gäste aus Mode und Wirtschaft zusammenkommen. Im hartmanns, unserer eigenen Veranstaltungslocation, tauschten sich Industrie-Experten von C&A und H&M sowie ein Zisterzienserpater und ehemaliger Manager im Panelgespräch über „Fast Fashion – Mode in Zeiten der Nachhaltigkeit“ aus. Die anschließende Diskussion bestätigte, dass es coronakrisen-unabhängig gilt, die dringenden Fragen der Nachhaltigkeit in der Fashionbranche zu klären.

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„Dabei vergessen wir gerne, dass noch nie mehr SUVs zugelassen worden sind als 2019, noch nie so viel geflogen wurde, noch nie so viel Fleisch gegessen wurde“

Die versammelten verschiedenen Kompetenzen und Perspektiven unseres Panels und unserer Gäste waren auch hilfreich, denn größer hätte das Thema des Abends kaum sein können: Nachhaltigkeit. Das Buzzword der Zehner-Jahre hat sich über alle Branchen, Produkte und Diskurse gelegt und wird dabei leider oft inflationär und unreflektiert gebraucht: Als würden wir allein deswegen umweltbewusster leben, weil sich um uns herum alles nachhaltig nennt.

„Dabei vergessen wir gerne, dass noch nie mehr SUVs zugelassen worden sind als 2019, noch nie so viel geflogen wurde, noch nie so viel Fleisch gegessen wurde“, konstatierte Moderator Marc Schumacher in seiner Eröffnung.

Was das alles mit der Bekleidungsindustrie zu tun hat? Leider zu viel – die Modebranche ist weit weg davon, ein ökologisches Vorbild zu sein. Schumacher hatte die Zahlen parat: 1,2 Mrd. Tonnen Treibhausgas-Emissionen pro Jahr verursache der Sektor –  das sei mehr als Luftverkehr und Schifffahrt zusammen. Außerdem sei er für ⅓ des Plastikmülls in den Ozeanen verantwortlich und ⅕ des weltweiten Wasserverbrauchs.

Dennoch bemühen sich viele Modefirmen intensiv um Nachhaltigkeit. Hendrik Heuermann ist der personalisierte Beweis: Der Ostfriese arbeitet als Sustainability Manager bei H&M Deutschland und war einer der Talk-Gäste unseres hc privée.

„Nachhaltigkeit finden viele Konsumenten zwar gut und wichtig, aber wirklich damit auseinandersetzen möchten sich lange nicht alle.”

Heuermann brachte das Dilemma seiner Rolle auf den Punkt: „Wie beantworten wir Fragen, wenn keiner die ganze Antwort hören will?“ Will heißen: Nachhaltigkeit finden Konsumenten zwar gut und wichtig (ein klassischer Fall von „political correctness“?), aber wirklich damit auseinandersetzen möchte sich nicht jeder. Das liege mitunter an der Komplexität der Antworten auf Nachhaltigkeitsfragen, berichtete Martijn van der Zee, Chief Merchandising & Sourcing Officer bei C&A Europe. Viele scheiterten dabei an der Frage: Wie bekomme ich Nachhaltigkeit beim Kunden erklärt? Das beginne schon beim Personal: Wenn das die Kreislaufwirtschaft nicht erklären könne, bringe auch das „Cradle To Cradle“-Versprechen der neuen T-Shirt-Kollektion nichts.

„Nachhaltigkeit stört nicht, aber es ist niemals der Kaufimpuls.“

Unisono stellten die Panelgäste fest, dass Nachhaltigkeit bei Kaufentscheidungen selten an erster Stelle stehe. Drei andere Aspekte würden meist überwiegen: Verfügbarkeit, Auswahl an Produkten und der Preis. Dr. Justinus C. Pech, Theologe und Wirtschaftswissenschaftler, zweifelt ohnehin daran, dass Nachhaltigkeitsbewusstsein und Nachhaltigkeitshandeln Hand in Hand gehen: „Schon vor 20 Jahren wussten wir alle, dass PVC-Flaschen am Strand nicht richtig sind. Und was ist passiert: Zwischen 2000 und 2020 hat sich der Plastikverbrauch nochmals verdoppelt.“ Beim Thema Nachhaltigkeit hat unser angeborenes moralisches Grundverständnis offenbar einen blinden Fleck: „Niemand kommt zu uns und fragt: ,Was haben Sie aus Biobaumwolle?’”, so Heuermann. „Nachhaltigkeit stört nicht, aber es ist niemals der Kaufimpuls.“

Ohne Nachhaltigkeits-Engagement geht es aber nicht: Erstens, da es, in Anlehnung an die Markenlehre, ein „Point of Parity“ ist, ein Hygienefaktor, den (fast) alle bieten. Zweitens, da Nachhaltigkeit im Buhlen um die Generation Z ein wichtiger Wert für Arbeitgebermarken wird. Und drittens, da sie mehr ist als „nur“ Umweltschutz. Sie wird – da war sich unsere Talkrunde einig – helfen, Geschäftsmodelle zu sichern.

„Wenn jedes Land in Europa sein eigenes Label hat, dann ist Nachhaltigkeit eine Mission Impossible“

Auch bei der technologischen Transformation hin zu automatisierten Fabriken wird es viel um Nachhaltigkeit gehen. Und ganz wichtig, so Heuermann, sei die „Ressourcenfrage – die entscheidende Frage in der Modebranche.“ Der Tag, als die erste Altkleidertonne in einem H&M gestanden habe, sei für ihn „einer der besten Arbeitstage im Leben” gewesen. Und das nicht nur aus Ökogründen: Die Fläche, auf der weltweit Baumwolle wächst, kann nur noch bedingt wachsen. Umso wichtiger wird es für Unternehmen, Rohstoffe zu recyceln.

Beim Thema Umweltstandards reiben sich die Konzerne – auch das wurde in unserem Paneltalk klar – stark an der Politik. Label wie der neue „Grüne Knopf“ seien noch zu kurz gedacht, weil sie internationale Produktions-Realitäten außer Acht ließen. Einig waren sich die Experten, dass es – für Unternehmen und die Umwelt – europäische Lösungen brauche. Eines sollte sie unbedingt sein: nachhaltig.

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Zum Vormerken:
Noch mehr Insights und Expertenwissen gibt es am 17./18. September 2020 bei unserer ersten „SHIFT“ Conference, die sich an eine proaktive Community richtet, welche sich zukunftsbezogenen Themen stellen möchte. Dialog und das Gestalten des Heute und des Morgens stehen hierbei im Vordergrund.