Digitaler Marketplace vs. stationäre Händler – warum eigentlich immer so schwarz-weiß? Zalando-VP Dr. Carsten Kellers Session über das Konzept Connected Retail beweist, wie sehr es sich lohnen kann, über den Tellerrand zu blicken – und dass es noch Hoffnung gibt für die Fußgängerzonen.
Digitaler Marketplace vs. stationäre Händler – warum eigentlich immer so schwarz-weiß? Zalando-VP Dr. Carsten Kellers Session über das Konzept Connected Retail beweist, wie sehr es sich lohnen kann, über den Tellerrand zu blicken – und dass es noch Hoffnung gibt für die Fußgängerzonen.
Das Modell wuchs, immer mehr Händler sprangen auf, „die Welt war rosig, der Himmel war blau – und dann kam das…“, erzählt Dr. Carsten Keller. Dann blendet er eine Rolle Toilettenpapier ein und alle SHIFT-Besucher wissen sofort, was gemeint ist: Lockdown. Quasi der natürliche Feind eines neuen Modells, das Zalando gerade groß ausrollen wollte. Aber: Offenkundig war die Idee so gut, dass sie sich nicht einmal mehr von Corona aufhalten ließ.
„Connected Retail“ begann mit einem einfachen Schritt, den man als erfolgreiche Firma aber auch erst einmal machen muss: mit dem Eingestehen eigener Schwächen.
Zalando ist Marktführer im Online-Versandhandel, auch 2019 war man überaus erfolgreich gewesen, im vierten Quartal war der Umsatz um 19,5 Prozent auf 1,9 Milliarden Euro gestiegen. Doch ein paar Probleme konnten aus eigener Kraft nicht gelöst werden: Die Lager sind oft zu weit weg vom Kunden, um am selben Tag liefern zu können; die coolen Schuhe für die Party am Wochenende sind ausgerechnet dann ausverkauft, wenn man sie unbedingt haben will, und manche Dinge, wie etwa einen Baby-Strampler, hatte Keller selbst nur in der Auslage eines kleinen Geschäfts gesehen, nicht aber auf der eigenen Webseite. Zu diesem Zeitpunkt seien rund 85 Prozent der gesamten Ware in stationären Geschäften umgeschlagen worden – dafür hatte Zalando in Deutschland einen Kundenstamm von rund 45 Millionen Menschen.
Also ging Zalando auf die Einzelhändler zu und überzeugte Tausende von ihnen von der Win-win-Taktik. Die Vertreter eines Modehauses kommen in einem Videobeitrag zu Wort. Hagemeyer in Minden sammelt drei Mal am Tag die Online-Bestellungen zusammen, stellt die Boxen zusammen und liefert dann aus. Ohne Zalando würde sich dieser Service kaum rechnen, zumal die Kollektion im Laden größer und auch einmal gewagter ist – weil der Händler weiß, er kann auch über Minden hinaus verkaufen. „Dieses neue Modell, online und offline in einer Hand, ist gekommen um zu bleiben. Es wird für uns auf jeden Fall weitergehen“, sagt Hagemeyers COO Martin Heinzmann.
Auf kritische Nachfrage von Moderator Dr. Marc Schumacher, ob Zalando mit diesem Konzept nicht einfach nur das Leben der stationären Geschäfte künstlich verlängert, antwortet Keller, dass die Läden einige Vorteile ja immer für sich behalten werden: die haptische Erfahrung mit dem Produkt zum Beispiel. „So kann der Händler auch wieder eine Beraterfunktion übernehmen, er kann sich unter den Zalando-Kunden einen Kundenstamm aufbauen“, gibt Keller zu bedenken, und ergänzt: „Wir glauben fest daran, dass die Zukunft des Handels darin liegt, dass diese Verknüpfung stattfindet.“
Anders gesagt: Eine der großen Plattformen trägt dazu bei, dass die oft befürchtete Verödung der Innenstädte in dieser Form nicht stattfindet. Wenn Menschen online bestellen und aus dem Laden um die Ecke abholen oder sich von diesem beliefern lassen können, dann hat dies den angenehmen Nebeneffekt, dass jeden Tag Tonnen an CO2 eingespart werden, weil sich Transportwege verkürzen.
Keller berichtete auch noch von einem extremen Beispiel, wie erfolgreich ein einziger stationärer Laden sein kann, wenn man die Kraft der Plattformen nutzt: John McPheters machte in London exklusive Sneaker für eine große Kundschaft zugänglich. Und verkaufte sein „Stadium Goods“ nach nur drei Jahren für 250 Millionen Dollar. „Alles wird Plattform“, prophezeit Keller – doch das bedeutet nicht, dass dem Laden um die Ecke keine wichtige Funktion mehr zukommt.